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Tagebuch einer psychiatrischen Pflegeperson

Wie Corona meine Arbeit verändert Teil 1


 

Dieser Beitrag wurde emotionaler als ursprünglich gedacht. Trotzdem wollte ich ihn nicht mehr verändern, weil er E C H T ist.






Seit 2016 arbeite ich im Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Angefangen habe ich auf der Akutpsychiatrie. Hier sind Kinder und Jugendliche, teils freiwillig aber auch gegen ihren Willen, zwischen 12ten Lebensjahr und 18. Lebensjahr.

Wenn Menschen gegen ihren Willen auf einer psychiatrischen Station aufgenommen sind, müssen laut Unterbringungsgesetzt (§8 und §9 UbG) bestimmte Kriterien gegeben sein.


Nach fast 2 Jahren auf der Akutstation habe ich eine zusätzliche Ausbildung im Bereich der psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflege absolviert. Dies war notwendig um weiterhin auf der Psychiatrie tätig sein zu dürfen. Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, da ich der festen Überzeugung bin, dass Bildung frei macht.


Nach meiner Ausbildung, ging ich wieder zurück an die Station an der ich davor arbeitete. Also wieder in den Akutbereich. Doch dort verweilte ich nicht lange.

Es gab einige strukturelle Veränderungen, unter anderem wurde die Akutambulanz weiter ausgebaut.


Die Akutfälle in der Nacht haben immer mehr zugenommen. Als ich begonnen habe zu arbeiten, wurden die Jugendlichen, die in der Nacht mit Rettung und Polizei ins Krankenhaus kamen von der Station mit betreut. Dies war nicht immer einfach zu managen, da auf den Stationen das Personal gebraucht wurde. Es wurden also weitere Stellen geschaffen, um eine 24h Akutambulanz aufrecht erhalten zu können. Außerdem wurden „erfahrene“ Kollegen bevorzugt, da es in gewissen Situationen eine gewisse Standfestigkeit benötigte.


Mit meinen gerade mal 3Jährchen, habe ich dort bereits zum „erfahrenen“ Personal gehört, da die Fluktuation sehr hoch in diesem Bereich ist. Und man erlebt in 3 Jahren wahrlich viel auf einer Akutpsychiatrie.



Ich habe in meiner Ausbildung zur psychiatrischen Gesundheits- und Krankenpflegeperson, von Kollegen leider oft abwertende Bemerkungen über die Kinder- und Jugendpsychiatrie gehört.


Wie:


„Das sind ja nur Kinder. Was soll daran Akutpsychiatrie sein?“


Und ich sag euch. Da geht’s leider viel zu oft „akut“ zu.


Also habe ich meine Rolle als „erfahrene“ Pflegeperson angenommen und habe in die Akutambulanz gewechselt.

Man braucht für diesen Job eine ordentliche Packung Mut. Ab 16.00Uhr ist man nämlich alleine in der Ambulanz für alles zuständig. Bis ca. 6.30Uhr sind auch nur 2 Ärzte und 2 Stationen (max. 3 Personen Personal pro Station) zur Unterstützung vor Ort. Diese sind aber eben auch für die Stationen verantwortlich. Also wenn´s an den Stationen brennt, kann man auch da nicht mit Unterstützung rechnen.


Es ist also vielleicht vorstellbar, dass diese Grundvoraussetzungen schon manch brenzliche Lage hervorgezaubert hat. Ich kann nicht behaupten, dass mir der Nervenkitzel etwas ausgemacht hätte. Ich bin dankbar für jede Begegnung, denn ich durfte so unglaublich viel über mich lernen.



Im Februar 2020 wurde ich gefragt ob ich eine Stelle in einer therapeutischen Einheit der Klinik annehmen will. Ich habe aus reinem Bauchgefühl gehandelt und zugesagt. Und bin nun seit Mai an der Tagesklinik tätig.


Für mich hat sich eine große Chance aufgetan und ich habe sie ergriffen.

Endlich konnte ich mit Jugendlichen zukunftsorientiert arbeiten. Ich konnte ihnen Werte vermitteln, Ressourcen erarbeiten und tatsächlich an Zielen arbeiten.


Doch wogegen man immer ankämpfen muss, ist das System. Ich kämpfe gegen Auswirkungen der Pandemie. Die Krisenzentren sind voll, die Stationen der Klinik. Voll. Und dass ist erst die Spitze des Eisberges.


Jetzt. Inmitten der Pandemie, geht uns allen die Kraft aus.


Wir auf der Psychiatrie sollen jetzt eine heile Welt erschaffen, eine heile Welt die es nicht gibt. Sollen professionell mit der Krise umgehen. Wir sollen depressive Kinder heilen, sollen ihnen Tagesstruktur bieten, ihnen Ausbildung ermöglichen, sie therapieren und unterstützen.


Ja. Und was dann?


Gehen sie nachdem wir sie „aufgebaut“ haben wieder ins Homescholing in den 10. Lockdown. Ohne Möglichkeiten ihren Hobbies nachzugehen. Mit ebenso überforderten Eltern. Sie können weder Sport machen, noch ein Musikinstrument lernen. Dürfen ihre Freunde nicht treffen. Und Ausbildungsplatz gibt’s sowieso keinen. Denn die Einrichtungen für Jugendliche, die im normalen Bildungssystem nicht gut zurechtkommen, waren bereits im September schon wieder geschlossen. Oder gar nicht erst geöffnet.


Wir platzen aus allen Nähten. Und die Politik schaut weiter zu. Statt unseren Jugendlichen zu helfen, schieben wir sie sogar ab.










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