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Wie wir unser Leben durch Wissen aus der Psychiatrie bereichern können
In diesem Beitrag möchte ich, meine Erfahrungen aus meinem Berufsleben teilen. Keine Sorge, hier folgen keine schlimmen Schicksalsschläge von Menschen oder ekelhafte Details über verschiedene Erkrankungen.
Ich möchte in den folgenden Zeilen, über Strategien berichten, die wir auf der Psychiatrie "Skills" nennen.
Skills ist ein Begriff aus der Psychotherapie. Man versteht darunter Fertigkeiten und Techniken, die der Patient erlernt, um mit bestimmten Situationen besser umgehen zu können.
Eine Sonderform stellen die Skills in der dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) für Borderline-Patienten dar.
Vorweg. Auch mir gelingt es nicht immer, meine Emotionen im Zaum zu halten. Andere Professionisten im Bereich der mentalen Gesundheit, kommen an ihre Grenzen. Man ist, trotz des theoretischen Wissen nicht immer dazu fähig dieses Wissen auch in die Praxis umzusetzen.
Bestes Beispiel: Rauchen
Jeder weiß, dass es gesundheitsschädlich ist zu rauchen. Ich habe auch eine Zeit lang geraucht. Knapp 10 Jahre. Jetzt bin ich Nichtraucherin, keine penetrante, trotzdem sehr stolz diese Angewohnheit aus meinem Leben verbannt zu haben.
Mein Kollegium, hat doch einige Raucher unter sich, trotz des fachlichen Wissens, dass es ungesund ist machen sie es. So ist es auch mit anderen Verhaltensweisen, die wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet haben.
Und wie kann man sich so eine „schlechte Angewohnheit“ nun abgewöhnen?
Wir brauchen einen „Skill“, eine Ersatzhandlung. Etwas zu tun, was wir immer dann tun, wenn wir in Versuchung kommen der „schlechte Angewohnheit“ wieder nachzugehen.
Ich benenne es in diesem Artikel als schlechte Angewohnheit, weil es in meiner Arbeit nicht darum geht, einem Patienten dabei zu unterstützen mit dem Rauchen aufzuhören. Dieses Wissen jedoch von jedem eingesetzt werden kann, der etwas hinter sich lassen will und sich nicht am Ende des Jahres fragen will, was aus seinen letzten Neujahresvorsätzen schon wieder geworden ist.
Diese Skills, wie wir sie in der Arbeit mit den Jugendlichen nennen, können ganz verschieden aussehen. Es könnten auch einfach Hobbies sein, die man im Alltag untergehen hat lassen. Es kann ein einfaches Vollbad oder ein Buch lesen sein. Diese Skills funktionieren ganz gut, wenn man sich wieder ein bisschen auf sich fokussieren will. Vom hektischen Alltag abschalten will und sich einfach nur entspannen will. Diese Art von Skills werden Wohlfühl´ Skills genannt. Sie sind dafür da, sich selbst zu stärken. Lernen sich selbst Aufmerksamkeit, Zeit und Zuneigung zu schenken. Sich gutes tun.
Hier eine kurze Liste an Beispielen für Wohlfühl´ Skills:
• Durch die Wohnung tanzen und singen
• Lange duschen oder ein Vollbad
• Körperpflege
• Massagen
• Yoga
• Wohltuende Aromadüfte
• Kochen, Backen
• Shoppen
• Mit lieben Menschen reden
• In die Natur gehen
• Beim Tierschutz helfen
• Nägel lackieren
• Frisörbesuch
• Etwas essen gehen und sich dafür schick machen
• Mit einem alten Freund Erinnerungen wecken
• Schreiben, lesen, zeichnen, kreativ sein
• Und alles was euch gut tut und ein lächeln ins Gesicht zaubert
Doch dann gibt’s da auch Tage, an denen kein Vollbad reicht. Beim Buch lesen kommt man kaum zwei Zeilen weit und schon ist man wieder in den Gedanken unterwegs. Es gibt Tage an denen wir nicht mehr weiterwissen. Und ich sag euch ganz ehrlich. Da wird’s ein Vollbad auch nicht immer besser machen.
Es gibt Tage, an denen man denkt, dass all die Kraft, die euch lange zusammen gehalten hat, nun wirklich ausgeht. Wenn man kurz vorm Aufgeben ist, seinen alten Mustern wieder die Oberhand gewinnen lassen will, kommen die sogenannten Stresstoleranz Skills ins Spiel.
Stresstoleranz Skills sollen möglichst starke Reize sein, die dem Menschen eine kurze Ablenkung von dem inneren Stress bieten sollen.
Das Ziel, ist es die innere Anspannung so zu reduzieren, dass keine (selbst-)schädigende Handlung erfolgen muss.
Die meisten Menschen haben diese Fähigkeiten, sich selbst zu regulieren. Leider kommt es in einer Krisensituation, manchmal dazu, dass Menschen diese Fähigkeiten nicht abrufen können. Deswegen sollte man, wenn man anfällig ist, von Emotionen überflutet zu werden, auch Stresstoleranz Skills haben. Auch hier haben Erwachsene meist schon ein gewisses Päckchen an Dingen die sie anwenden. Ganz automatisch.
Soweit so gut.
In meiner Arbeit werden diese Dinge eingesetzt, um Menschen vor massiven selbstschädigenden Handlungen zu bewahren. Nicht jeder ist gefährdet, sich selbst etwas anzutun. Jeder kann diese Praxis allerdings zu seinem persönlichen Vorteil nutzen um eine „schlechte Angewohnheit“ loszuwerden oder lernen alte Muster abzulegen.
Ein paar Beispiele für Stresstoleranz Skills:
• Tabasco Shot, Chili Schote
• Eiswürfel lutschen
• Gummiband auf die Haut schnalzen
• Intensives Workout
• In Ingwer beißen
• Hot Yoga
• Zitronensaft trinken
• Eisbaden, oder gewisse Körperpartien in kaltes Wasser halten
• Barfuß durch den Schnee laufen
• Auf Pfefferkörner beißen
• Körperliche Betätigung jeglicher Art
Es gibt noch viele weitere Arten von Skills. Sie können in viele verschiedene Kategorien eingeteilt werden.
Eine weitere Art von Skills, die ich meinen Patienten besonders ans Herz lege, ist das Ablenken der Gedanken durch Denkaufgaben. Rätsel, Spiele, aber auch Mandala ausmalen kann das Gehirn sehr beanspruchen. Rechenaufgaben oder Tagebuch schreiben.
Wieder zurück zum Beispiel rauchen. Die größten Schwierigkeiten, nicht wieder in dieses gewohnte Muster zu fallen, hatte ich persönlich in der Arbeit.
Klar, Rauchpausen mit den Kollegen sind nicht nur das Klischee schlecht hin, sondern auch eine kurze verdiente Pause von der Arbeit. Eine Möglichkeit kurz einen privaten Anruf zu Tätigen oder einfach mal mit den Kollegen plaudern. Rauchen hat auf jeden Fall eine soziale Komponente. Was musste nun her. Eine Ersatzhandlung. Ein Skill.
Für mich war es zu Beginn Kaffee. Auf Dauer auch nicht wirklich gesund. Kaugummi kauen war auch ein beliebter Skill, am besten haben die schärfsten gegen den Drang gewirkt.
Ich habe einige Erfahrungen sammeln dürfen, in denen mir meistens gar nicht bewusst war, dass ich Skills anwende. Ich habe erst später den Zusammenhang erkannt. In Bali während meiner Yogalehrer Ausbildung habe ich massiv mit Albträumen zu kämpfen gehabt. Die tägliche Meditationsroutine auf Bali hat mir Ruhe gegeben. Ohne diese Praxis hätte ich wahrscheinlich den ganzen schönen Tag vergeudet, um über einen schlechten Traum nachzudenken und hätte mich schlussendlich eine schlechte Stimmung geflüchtet.
Und auch hier, im Alltag. Wenn ich einen furchtbaren Tag hatte, eine stressige Woche, emotionalen Stress, oder mich einfach nur mies fühle.
Mein Mittel der Wahl:
Sport. Laufen, HIIT, Krafttraining. Richtig hart trainieren. Bis an meine Grenzen gehen. In der Natur sein, Zeit mit Freunden verbringen. Eine schöne Yin Yoga Einheit mit vielen Hüftöffnern, ein gutes Aromaöl und die Welt sieht wieder ganz anders aus.
Jeder hat seine persönlichen Mechanismen. Seine persönlichen Skills. Manche bereichernde, jedoch auch so manch schädigende Strategien.
Warum es mir so wichtig ist, dieses Wissen nicht nur den „kranken“ Menschen mitzugeben ist einfach zu begründen. Das Prinzip der Eigenbefähigung. Sich selbst zum eigenen Experten seiner Gefühle machen. Wenn wir beginnen, diese Skills gezielt einzusetzen, schaffen wir es Achtsamer durchs Leben zu gleiten. Wir können dadurch lernen, den Augenblick wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sich nicht ständig in Gedanken verlieren.
Wir können durch diese Fertigkeiten wieder im JETZT landen.
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